Für viele Menschen kommen die Lebenskrisen überraschend. Ich korrigiere mich: Für alle Menschen kommen die Lebenskrisen überraschend.
Aber nicht alle Krisen kommen für alle Menschen überraschend.
Es gibt Menschen, die einen Weitblick fürs Krisenmanagement haben. Ist das ein Talent? Wollen Sie einen Trost? Nein, das ist kein Talent, das ist eine Lebenseinstellung. Krisenmanagement ist sogar eine sehr gute Lebenseinstellung. Und die hat jede Menge mit der Selbstdisziplin zu tun. Diese Einstellung ist bitte nicht mit einer negativen Lebenseinstellung zu verwechseln. Ich glaube, das ist sogar der Grund, warum sich viele mit den Krisen nicht beschäftigen wollen. Sie sind zum einen der Meinung, dass die Auseinandersetzung mit Situationen mit negativen Folgen einem negativem Denken gleichkommt. Zum anderen halten viele Menschen diese Art der Auseinandersetzung für sinnlose Zeitverschwendung. Das kommt daher, weil sie meinen, die Krise nicht kontrollieren zu können.
Ich stimme ihnen beim zweiten Punkt vollkommen zu. Sie sollten die Ereignisse auch gar nicht kontrollieren wollen. Ich will auf etwas ganz anderes hinaus, nämlich dass es hier nicht um die Krisenkontrolle, sondern um die Eigenkontrolle in der Krise geht.
Sie sollten wissen, was Ihnen blüht, wenn Sie in der Krise stecken werden, und das so früh wie nur möglich. Solange Sie diese Situation nüchtern und ohne Emotionen wie Angst oder Panik betrachten, werden Sie die richtigen Entscheidungen treffen. Ja, Sie haben richtig gelesen: Die Entscheidungen auf die zukünftigen Ereignisse kann man schon jetzt treffen. Sie sollten es sogar dringend tun.
Aber, Sie wissen ja: Was wir nicht erkennen, sehen wir nicht!
Eine Prise Ablenkung durch den Alltag dazu – und schon haben wir die perfekte Überraschung des Lebens.
Woher kommt die Alltagsignoranz? Daher, weil wir eine Meinung mit einer Beobachtung verwechseln. Eine Meinung kann sich jeder bilden, und sie kann alles sein. Eine Meinung kann auch die Beobachtung sein, aber sie ist dann nicht bloß eine Beobachtung, sondern eine individuelle Essenz der Beobachtung. Also verliert sie ihr Naturell, die Objektivität, und gewinnt an Positionsbezogenheit, an Subjektivität. Die Meinung ist immer parteiisch. Sie steht für den Meinungsproduzenten, stammt aus dem Ego des Meinungsproduzenten und ist somit durch das Ego limitiert. Die Meinung ist exklusiv. Die Natur der Beobachtung trägt eher inklusiven Charakter, weil die Natur die Zusammenkunft aller Faktoren abbildet und nicht nur einen Faktor, das Ego.
Wenn man versteht, wie das menschliche Ego funktioniert, ist es ziemlich einleuchtend, warum wir Menschen so viele zielverfehlte Entscheidungen treffen. Weil wir nicht exklusiv denken können, da wir nicht alle möglichen Erfahrungen in unserem Verstand vereinen können, sondern nur die, die wir eben persönlich gemacht haben. Daher sind die Verfügbarkeit der Information und die Fähigkeit, die Puzzleteile zusammenzufassen, so wichtig für das Krisenmanagement.
Aber Vorsicht! Eine bloße Vorstellung über die Erfahrung ist keine Erfahrung, sie ist eine Fake-Erfahrung. Das ist ein Denken über das Wissen des Tuns. Wenn wir den Zustand der Krise analysieren, sehen wir uns die Ergebnisse solcher Ereignisse, aber nicht den Vorgang dahinter an. Leider interessiert uns der Vorgang oft gar nicht, und zwar weil die Rekonstruierung solcher Vorgänge sehr zeit- und ressourcenaufwendig ist.
Hier spart unser Gehirn Energie, indem es der Tiefenanalyse keine Beachtung schenkt.
Für ein perfektes Chaos in der Welt genügt es schon, dass wir die Welt, jeder für sich, individuell wahrnehmen. Aber wir bauen noch einen Filter dazwischen, indem wir die Welt erdenken, wie wir sie wahrnehmen könnten, wenn wir sie wahrnehmen müssten.
Und noch etwas: Wir versichern uns glaubhaft, dass die Welt genau so ist, wie wir darüber denken, dass sie ist. Können Sie mir folgen?
Zum Beispiel sagen wir nicht: „Weil es nicht auszuschließen ist, dass es einen Unfall geben könnte, brauche ich auch keinen Führerschein zu machen.“ Und auch nicht: „Weil es die Unfälle gibt, fahre ich nie ein Auto.“ Die Menschheit ist doch lernfähig. Hier haben wir das Bewusstsein erlangt, dass uns gerade die Auseinandersetzung mit dem Fahren und das Können die Unfälle vermeiden bzw. kontrollieren lassen.
Komischerweise machen wir das in ganz wenigen Lebensbereichen. Aber nicht in allen.
Wie steht es um unsere Gesundheit? Laufen wir vorsorglich, um nicht krank zu werden, während wir noch gesund sind? Bauen wir ein anderes Tätigkeitsfeld vorsorglich aus, während uns die bestehende Tätigkeit zufriedenstellt? Verbessern wir unsere noch gut laufenden Beziehungen? Die Mehrheit tut dies nicht.
Noch so eine Annahme, dass Ruhe bewahren Untätigkeit bedeutet.
Wir neigen dazu, zu glauben, dass, wenn wir uns etwas nicht vorstellen können, dann ein Ereignis davor Halt machen oder nicht eintreten wird. Dem liegt nicht die oft zitierte Selbstüberschätzung zugrunde, sondern die mangelhafte Auseinandersetzung mit den Systemen, in denen jeder von uns steckt. Wir begreifen nicht, wo wir uns befinden und welche Auswirkungen die Systeme auf uns haben.
Schlicht und einfach: Wir können kein Auto fahren und wollen es auch nicht lernen, fahren aber auf der Autobahn als Geisterfahrer.
„Ich will es gar nicht wissen“, höre ich oft. „Aber erleben auch nicht, oder?“, antworte ich dann.
Was wollen Sie lieber? Über die Möglichkeit des Aufkommens einer Krise Bescheid wissen oder diese lieber erleben? So oder so wird sich die Krise in unsere Wahrnehmung drängen, ob wir es wollen oder nicht. Die Ironie der Sache ist aber, dass wir uns während der Krise nur mit dem Verhalten „weg von der Krise“ beschäftigen. Wir rennen also weg.
Halten wir fest: Vor der Krise sehen wir weg, während der Krise rennen wir weg, nach der Krise sehen wir wieder weg.
Und das, anstatt uns grundsätzlich mit ihrer Natur auseinanderzusetzen.
Im übertragenen Sinne verhalten wir uns folgendermaßen: Zuerst fahren wir die Geschwindigkeit auf 200 km/h hoch. Weil es eine Weile gut geht, bilden wir uns die Existenz von Sicherheit ein. Aus der Sicherheit heraus sehen wir ein Hindernis zwar kommen, erkennen es aber nicht als solches. Als wir nahe genug dran sind, die Gefahr zu erkennen, lassen wir in Panik das Lenkrad los – und bumm! Das ist aber nicht genug. Wir machen eine Reha und verdrängen den „Unfall“ als Unglück, anstatt ihn zu begreifen. Dann wiederholen wir das Ganze in einem anderen Lebensbereich.
Meine sehr geliebte Menschheit: Die Systemkrise wird in der einen oder anderen Form so lange kommen, bis wir es kapiert haben. Wollen wir diesen Prozess nicht etwas beschleunigen?
Sie wollen jetzt bestimmt einen Lösungsvorschlag von mir hören, nicht wahr?
Hier ist er:
Denen, die mit 200 km/h ohne Führerschein und mit mangelnden Fahrkenntnissen durch die Lebens-Autobahn rasen, wünsche ich viel Glück, dass ihnen kein Hindernis entgegenkommt.
Denen, die ein Hindernis bereits sehen, wünsche ich einen geübten Unfallchirurgen und eine gute Rehaklinik.
Für die, die ein sorgloses Leben führen, gilt alles, was ich zuvor schon erwähnt habe:
hinschauen, erkennen, verstehen, analysieren, vorsorgen und glücklich weiter leben.
Ach, ja, noch etwas: Vergessen Sie nicht auf die zu hören, die etwas von Krisen verstehen!
Eins ist sicher, die totale Sicherheit gibt es zwar, aber nicht für uns. Unser Verstand ist nicht in der Lage alle Ereignisse, die uns betreffen zu kontrollieren.
Wir wissen nicht, auf welche Gefahr unserer Lebens-Autobahn wir gerade mit 200 km/h zurasen.
Es bleibt weiterhin spannend!
Autorin: Maia Egger
Foto: cdc-w9KEokhajKw-unsplash